Erinnerungen ans Paradies?
Die Erinnerung ist das einzige Paradies,
aus dem wir nicht vertrieben werden können.
(Jean Paul)
Das Zitat von J. Paul auf einem stimmungsvollen Foto in Schreibschrift geschrieben, eingerahmt in einen antiken weißen Rahmen, hatte jahrelang seinen Platz auf meinem Schreibtisch. Mir gefiel der Gedanke, niemals etwas ganz zu verlieren, bewahrt man die Erinnerungen daran.
An die Kinderzeit zum Beispiel mit ihrer Unbeschwertheit. Als Träume keine Grenzen kannten und die Bäume schier in den Himmel zu wachsen schienen. An den Wunsch, Prinzessin zu werden, die Grundvoraussetzung diesen Status ausschließlich durch eine königliche Heirat erreichen zu können, außen vorlassend. An die Spiele mit Puppen, Teddybären und Eisenbahn.
An den unerschütterlichen Glauben der eigenen Fantasie. An die Spannung, hervorgerufen durch die von Mutter oder Großmutter vorgelesenen Märchen, deren Hauptfiguren des Nachts im Traum zum Leben erwachten.
Die Aufregung am ersten Schultag, das stolze Posieren fürs Erinnerungsfoto mit der ansehnlich gefüllten Schultüte. Der Geruch von Schulranzen, Kreide, feuchtem Schwamm und Schiefertafel, auf der erste Schreibversuche kläglich scheiterten. Dem Enthusiasmus, zu den «Großen» gehörend, nun auch endlich Hausaufgaben machen zu «dürfen». Eine Begeisterung, die nach einigen Wochen spürbar nachließ.
Die Teenagerzeit, die durch Musik, Mode, Partys und die erste zaghafte Verliebtheit geprägt war. Die unzähligen Schmetterlinge, die in den rosaroten Himmel flatterten, rosa, wie die gleichfarbige Brille, die alles verklärte und nichts unmöglich erscheinen ließ.
Selbst das aus den Angeln heben der Weltordnung schien denkbar in der jugendlichen Unbeschwertheit. Ausgelassen, unbekümmert und voller Rosinen im Kopf Zukunftsvisionen kreieren, um sie ebenso lässig zu verwerfen.
Das Leben in all seinen bunten Facetten genießen, beruflich erfolgreich, heiraten, Kinder bekommen und sich Jahrzehnte später am Heranwachsen der Enkelkinder erfreuen. Mit alten Freunden zusammensitzen und lachend in den einstigen Geschichten schwelgen und im Paradies der Erinnerungen spazieren gehen.
All das und zahlreiche Lebensanekdoten verband ich mit dem obigen Zitat. Bis zu dem Tag, an dem meine Mutter mich nicht mehr erkannte. Ausgelöscht, verschwunden, wie nie existent waren ihr vorheriges Leben und die Gedanken an die eigene Biographie.
Die Alzheimer Demenz hatte sie aus dem Paradies vertrieben. Seitdem liegt der gerahmte Spruch in der Schublade meines Schreibtisches.
Text und Fotos: © Gabriela Zander-Schneider